Wildwest in Wyoming
Der Western lebt: „Joe Pickett“ lässt das Genre mit viel Originalität einmal mehr aufleben
In den Bergen von Wyoming wird plötzlich geschossen: Joe Pickett (Michael Dorman) wehrt sich mit der Flinte, die ihm einst sein Vater geschenkt hat. Szene aus der ersten Staffel der Serie „Joe Pickett“, die beim Streamingdienst Paramount+ zu sehen ist.
Quelle: picture alliance / Everett Collection
Joe Pickett ist ein überaus korrekter Wildhüter, der in seinem Städtchen Saddlestring nichts durchgehen lassen kann. Bald hat er alle Hände voll zu tun, seine Liebsten vor skrupellosen Gangstern zu schützen. Die neue Paramount+-Serie gehört zu den Schätzen des derzeitigen Westernbooms.
Joe Pickett hat einen Block und einen Stift. Und er kann Bußgelder verhängen, wenn sich jemand in der Wildnis nicht korrekt verhält. Gibt ja Leute, die ihren Müll aus dem Autofenster schmeißen oder die besonders gern auf Risiko rauchen, dann nämlich, wenn akute Waldbrandgefahr besteht. Asoziale Zeitgenossen, die den Planeten nicht weiterbringen, die aber gern an ihr Portemonnaie denken und über Geldstrafen zum Nachdenken zu kriegen sind. Block und Stift für eine bessere Welt.
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Jedes Wort des Wilderers erinnert phonetisch an Wyoming
Für Ote Keeley steht mehr auf dem Spiel – seine Jagdlizenz. Und so versucht der Jäger, der im April, zur Geburts- und Aufzuchtzeit der Jungtiere, einen stattlichen Wapitihirsch gewildert hat, zu Beginn der Serie „Joe Pickett“, den titelgebenden Wildhüter, der ihn beim Ausweiden erwischt hat, zu beschwatzen. Man könne ihn doch laufen lassen, schließlich habe er Kinder zu ernähren. Alles in einem kaum verständlichen Kaugummidialekt, bei dem jedes Wort phonetisch an den Namen seines Heimatstaats erinnert: Wyoming.
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Nur dass Ote dann ratzfatz die Dienstpistole aus dem Holster von Joe Pickett gezogen hat, die auch noch zu dessen Ausstattung gehört. Selbst mit der vor ihm bedrohlich herumgefuchtelten Schusswaffe aber will sich der Neue im Wald nicht korrumpieren lassen. Und so wird der zunächst durchaus amüsante Zwist – natürlich finden wir Wilderei nicht gut – buchstäblich im Handumdrehen düster und spannend.
Romanautor C. J. Box hat selbst als Jagdaufseher gearbeitet
23 Bücher hat der amerikanische Schriftsteller C. J. Box seit 2001 über Joe Pickett geschrieben, eine Handvoll davon ist in deutschen Übersetzungen erschienen. Der ehemalige Journalist hat selbst auch als Jagdaufseher gearbeitet, er weiß also, wovon er schreibt. Und sein Ermittler ist einmal kein klassischer Sheriff oder Detektiv oder neugieriger Investigativschreiber, sondern ein couragierter Alltagstyp, der nicht wegsieht, wenn ungute Dinge passieren.
Held Joe Pickett ähnelt Cowboy Woody aus den „Toy Story“-Filmen
Der neuseeländische Schauspieler Michael Dorman ist trefflich gewählt. Er erinnert mit seinen Stauneaugen, dem zuweilen etwas angestrengten Lächeln und seinem steifen Hut, der nicht mal halb so cool ist wie ein klassisch geschwungener Stetson, ein wenig an den braven Cowboy Woody aus Pixars „Toy Story“-Filmen. Und wenn er frühmorgens vors Haus geht, um seltsamen Geräuschen im Vorgarten auf den Grund zu gehen, schnallt er sich den Pistolengurt schon mal über den karierten Morgenmantel.
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„Joe Pickett“ hat Witz, leichten, schönen unaufgesetzten Witz, keine Hoppla-jetzt-komm-ich!-Gagschleudern, die in Hollywoodstreifen immer deutlich machen, dass das Geschehen völlig unrealistisch und nicht zum Nachmachen empfohlen ist. Selbst wenn der Held einen angriffslustigen Emu mit hart zuhackendem Schnabel aus dem Schlafzimmer seiner Züchterinnen holen muss, vermeidet Joe Pickett „Bigger than life“-Gedöns.
Wo Joe Pickett auftaucht, ist auch der Tod nicht weit
Draußen muss dann kein Morgenmantelduell im Morgengrauen stattfinden. In einem Holzhaufen liegt der mögliche Gegenspieler Ote Keeley bereits mausetot, und ein Pfeil ragt aus seiner Brust. Schnell ist Nate Romanowski (Mustafa Speaks) verhaftet, ein Schwarzer, der oft mit Pfeil und Bogen unterwegs ist. Fall gelöst.
Für Picketts Geschmack haken der grimmige Sheriff Barnum (Patrick Gallagher) und sein tumber, geschwätziger Deputy McLanahan (Chad Rook) die Bluttat zu schnell ab. Er kommt anderen Verdächtigen auf die Spur, entdeckt hoch in den Bergen mit seinem Kollegen Wacey (Paul Sparks) ein Wilderercamp mit zwei Toten und erschießt dort Clyde Lidgard (David Haysom), das Enfant terrible von Saddlestring.
Dafür wird Pickett, der gerade noch „jener Idiot“ war, der dem Gouverneur von Wyoming wegen Angeln ohne Lizenz seinen Block gezeigt hat, beim Gemeindefest als Held gefeiert. Dass Wacey auf demselben Fest dann spontan seine Sheriffkandidatur übers Mikro ankündigt und den Amtsinhaber furchtlos als „korrupt“ anspricht, bringt bald schon jede Menge Finsternis in das sonnenbeschienene Städtchen.
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In dem die reiche Familie von Opal Scarlett (Judith Buchan) den Ton angibt und womöglich auch die Gesetzeshüter in der Tasche hat. Solche Familien waren schon in „Rio Bravo“ (1959) ein royaler Schmerz im Gesäß von Hollywood-Chefcowboy John Wayne. Ein altes Klischee, das sich nicht nur im Western und Neowestern findet, sondern beispielsweise auch in dem deutsch-österreichischen Netflix-Thriller „Der Pass“. Die Scarletts haben Haifischzähne hinterm Wohltätigkeitslächeln und wer kein Freund ist, ist Fressen.
Man schließt Pickett und seine Familie sofort ins Herz
„Joe Pickett“ schaut man so gern an wie Taylor Sheridans grandioses „Yellowstone“, nur dass man hinterher keine Antidepressiva braucht. Der Held ist – anders als die Duttons um Kevin Costner und Kelly Reilly – auf der hellen Seite der Macht, man braucht ihn also nicht pauschal infrage zu stellen und auch den eigenen Moralkodex nicht zu deformieren.
Pickett hat ein gutes Umfeld, hat zwei reizende kleine Töchter und wohl bald auch ein Söhnchen, und mit der von der bezaubernden Juliana Gull gespielten Marybeth eine aufrichtig liebende, völlig unkapriziöse Gefährtin, mit der er auch Pferde stehlen könnte, müsste man da in Wyoming nicht Lynchjustiz befürchten. Marybeth ist Anwältin, dass sie den Fall des wahrscheinlich unschuldigen Bogenschützen übernimmt, sorgt für Aufsehen.
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Die Serie „Joe Pickett“ von den Brüdern John Erick Dowdle und Drew Dowdle hat alles, was unterhaltsam ist: gute Dialoge, gute Charakterzeichnungen, einen spannenden Plot, dem sich jederzeit folgen lässt. Freilich steckt in der Titelfigur auch Geheimnis und Trauma: Rückblenden in die Kindheit zeigen eine ärmliche Familie, deren Oberhaupt offenbar zu Gewalt neigte.
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Es gibt Untiefen in der Vergangenheit des Helden
Mit der gezückten Waffe steht der junge Joe eines Nachts vor dem Bett des Vaters. Eine Hassliebe. Von Daddy bekommt Joe auch sein erstes Gewehr, eine Kleinkaliberflinte, gegen deren Projektile man sich mit einer Pappkartonweste wappnen könnte, die er allerdings bis heute bei sich trägt. Es gibt Untiefen in Pickett, in die hinabzuleuchten Unbehagen verursacht. Ganz zweifellos werden sich die Dinge dramatisch zuspitzen.
Der Western lebt jedenfalls, das zeigen nicht nur „Yellowstone“ mit seinen Spin-offs „1883″ und „1923″ (beide bei Paramount+), sondern auch Serien wie „Longmire“ (Netflix) oder „Big Sky“ (Disney+) – Letzteres basiert ebenfalls auf Romanen von C. J. Box. Und noch in diesem Jahr geht es in Deutschland mit „Joe Pickett“, dessen erste Staffel in den USA schon vor zwei Jahren startete, in die zweite Runde.
„Joe Pickett“, erste Staffel, von John Erick Dowdle und Drew Dowdle, mit Michael Dorman, Julianna Gull, Patrick Gallagher, Chad Rook, Sharon Lawrence, Paul Sparks, David Alan Greer, Skywalker Hughes, Kamryn Pliva (bei Paramount+, bereits streambar)